Was macht uns zu guten Müttern? Diese Frage wird schnell existenziell, wenn es mal nicht so läuft, wie wir es uns im Vorfeld ausgemalt haben. Auch das Thema Stillen ist in Mamakreisen ein hochsensibles. Überall wird uns suggeriert wie es laufen sollte: Mama und Baby in seeliger Eintracht beim Kuscheln. Ist es nicht ganz natürlich, dass es gelingt? Ist es nicht eine ganz selbstverständliche Fähigkeit von Müttern? Stillen sei das Beste fürs Baby, das Gesündeste und überhaupt das einzig Wahre, um unseren kleinen Lieblingen optimal unsere Liebe zuteil werden zu lassen. Aber was ist, wenn es nicht klappt mit dem Stillen? Wenn wir dem Bild nicht entsprechen können, dass uns suggeriert, wie es laufen sollte, damit es gut und richtig ist. Eine Mama erzählt und macht Mut.
Dorothee ist 34 Jahre jung, Mama einer inzwischen fast 2-jährigen wunderbaren Tochter und lebt mit ihrem Partner in Berlin. Sie ist gelernte Physiotherapeutin und mittlerweile im Yoga unterwegs. Wie bei vielen Mamas war in der Schwangerschaft die Vorfreude und Aufregung auf die Zeit mit Kind groß. Das etwas nicht laufen könnte, wie gedacht, war nicht abzusehen. Umso härter war die Landung. Es hat eine ganze Zeit gebraucht, bis sie gelernt hat, sich unabhängig davon zu machen, was unsere Umwelt, unsere Gesellschaft und damit auch wir selbst, von Frauen in der Mutterrolle erwarten.
Wie kam es zu unserem Interview, Dorothee?
Durch meine liebe Nachbarin, die bei LAUFMAMALAUF arbeitet und mir schon vor der Schwangerschaft von den Angeboten erzählt hat. Ich verfolge LML schon länger und bin sehr froh, dass sie sich so stark machen für die Gesundheit von uns Mamas auf allen Ebenen. Meine Nachbarin hat alles von meiner Schwangerschaft und der anschließenden Zeit im Wochenbett mitbekommen. Wir haben uns viel ausgetauscht. Schon bald nach der Geburt wusste sie auch von meinen Stillproblemen. Ich hoffe, dass ich durch meine Geschichte anderen Mamas Mut machen kann.
Was ist Dir passiert?
Ich hatte mir wie so viele Mamas, das Stillen vorgenommen und mir eine schöne und lange Stillbeziehung gewünscht. Ich hatte in meiner Schwangerschaft ein paar Stillbuch-Klassiker gelesen und wusste im Endeffekt doch noch recht wenig über das Mysterium Stillen und wie das klappen könnte. Ich hatte von Stillgruppen gelesen und auch, dass das Thema durch unsere heutigen Wohnverhältnisse allein (wenig bis keine Mehrgenerationen unter einem Dach, wo man mehr lernen könnte) schon weniger natürlich präsent ist. Durch Corona war natürlich nicht viel möglich im wirklichen Austausch. Im Frühling 2020 war ich im dritten Monat schwanger als der erste harte Lockdown kam.
Als die Geburt dann dran war, ging alles sehr schnell. Viel zu schnell, wie wir dann feststellen mussten. Das Krankenhaus war in der Nacht zusätzlich überlastet und alle waren nur in Hektik. Die „goldene Stunde“ war nur sehr kurz und als meine Tochter nicht sofort meine Brustwarze zu fassen bekam, hieß es: „Das geht so nicht. Wir brauchen ein Stillhütchen“. Unsere Tochter kam mit einem sehr leichten Geburtsgewicht auf die Welt und ich hatte nicht eine Minute nach der Geburt, wo es sich nach ankommen angefühlt hatte. Sofort hieß es zufüttern und Stillhütchen und Untersuchungen wegen des Gewichts.
Ab dem zweiten Abend sollte ich auch pumpen, um alles gut anzuregen. Als wir nach 3 Tagen nachhause durften, war ich froh dem Stress und Hektik im Krankenhaus zu entkommen, zuhause zu sein und nur noch die Meinung meiner Hebamme zu haben.
Wie ging es nach dem Krankenhausaufenthalt für Euch weiter?
Unsere Tochter hatte große Probleme an der Brust anzudocken. Am Anfang war sie zu schwach und schaffte es nicht an der Brust zu bleiben. Ich habe mir die Tage und Nächte mit pumpen und Stillversuchen um die Ohren geschlagen. Als das Stillhütchen auch nicht funktionieren wollte, probierten wir das Brust-Zufütterungsset aus. Auch wieder kein Erfolg. Ich hatte 24/7 Schmerzen an der Brust und wollte sie zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr an der Brust haben. Ich konnte sie nicht mal mehr ins Tragetuch nehmen. Ich spürte, dass sie mich vermisste und ich sie. Das war mental nicht einfach. Meine Hebamme ordnete eine Pause an und „nur“ noch pumpen, um für uns alle den Stress und den Druck rauszunehmen. Das war ungefähr 10 Tage nach der Geburt.
Und dann? Hat die Still-Pause etwas gebracht?
Etwa fünf Tage später versuchten wir ohne Stillhütchen, sie an der Brust anzulegen. Wieder und wieder. Wieder dasselbe Spiel, sie bekam die Brust nicht, ich hatte unglaubliche Schmerzen. Da begann für mich dann auch schon eine Odysee aus Milchstau und Mastitis.
Und dennoch hast Du nicht aufgegeben. Was habt Ihr unternommen?
Wir waren bei der Osteopathin, die eine Verstauchung der Brustwirbelsäule feststellte. Wahrscheinlich eine Folge der zu schnellen Geburt. Sie behandelte unsere Tochter drei Mal. Leider war aber keine Verbesserung im Trinkverhalten unserer Tochter festzustellen. Ich belas mich und suchte mir Hilfe bei der La Leche Liga. Dort hatte ich Kontakt zu zwei Stillberaterinnen, die mir gefühlt noch mehr Druck machten und das Ganze sehr dogmatisch angingen.
Wie waren die Reaktionen in Deinem Umfeld?
Mein Umfeld war zu dem Zeitpunkt auch noch der Meinung, dass ich nur weiter versuchen, mir noch mehr Mühe geben müsste. Es gab wenige Ausnahmen, die der Meinung waren, dass ich mich nicht länger quälen sollte und ich auch mit Milchpulver meine Kleine lieben und groß bekommen könnte.
So ging unsere Reise weiter, bis wir uns entschlossen die Stillversuche an der Brust aufzugeben und sie durch das Pumpen und Milchpulver zu ernähren. Das klappte kurzzeitig. Dann hatte ich wieder unzählige Milchstaus. Nach ca. 8 Wochen rieten mir meine Gynäkologin und meine Hebamme abzustillen. Aufgrund der vielen Milchstaus hatten wir schon ein Medikament probiert, welches den Milchfluss verbessern sollte und ein wenig eindämmen. Auch dort keine Besserung.
Was hat das alles mit Dir gemacht? Wie hast Du Dich gefühlt?
Nach zehn Wochen nach der Geburt, war ich körperlich und mental sehr entkräftet und sah ein, dass es nicht mehr ging. Wir stillten mit Hilfe eines Medikaments und viel Minztee ab. Mir ging es besser ohne den Druck des Stillens und doch fühlte ich mich leer und ausgebrannt. Als „Versagerin“. Eine, die ihrem Kind nicht das Beste geben kann.
Im Nachhinein stellte sich raus, dass unsere Tochter eine Sensorik Störung im Mund hat und alle Reize viel zu stark wahrnimmt. Und ich hatte das Raynaud-Syndrom in der Brust (ein Krampf in den Blutgefäßen der Burst, sobald der Milchspendereflex einsetzt und der starke Schmerzen verursacht).
Beides zusammen hat das Stillen für uns einfach unmöglich gemacht.
Was hat Dir geholfen nicht den Mut zu verlieren? Hast Du Tipps?
Ich habe in der Zeit die Firma „Loewenzahnorganics“ gefunden und fühlte mich das erste Mal wirklich unterstützt und gesehen. Das sind drei Berliner Mamas, die Milch auf Biobasis herstellen und sich auf den sozialen Netzwerken stark dafür machen, dass man auch mit der Flasche sein Kind liebt und nicht weniger Mama ist. Das hat mich damals sehr berührt und nachhaltig gestärkt.
Andere Mamas mit ihren abwertenden Blicken, wenn ich statt der Brust die Flasche rausholte, und Kommentare wie „Na, mit der Flasche macht man es sich halt auch leicht und bequem.“ verletzen und unterstützen so gar nicht. Nachts um 02.30 Uhr die Flaschen ausspülen, Wasser aufkochen und abkühlen lassen und im Schlafdelirium das Milchpulver richtig dosieren, ist alles andere als „es sich bequem machen“. Mittlerweile gibt es wie für Kaffee auch Milchautomaten, die immer die richtige Dosierung und Wassertemperatur haben und die Flasche auf Knopfdruck fertig machen. Für nachts eine wahre Erleichterung.
Was möchtest Du anderen Mamas sagen?
Auch Stillen kann körperlich und mental an den Kräften zehren. Im Endeffekt sind wir alle Mamas, die ihr Kind lieben und sich das Beste wünschen für unser Kleines. Ob nun mit der Brust oder mit der Flasche. All das ist Liebe.
Ich wünsche mir, dass unter den Mamas mehr Zusammenhalt zustande kommt. Weniger getuschelt oder mit dem Finger gezeigt wird. Wir alle lieben unsere Kinder und jede Mama (und auch die Papas) muss ihren eigenen Weg finden, mit all dem zurecht zu kommen. Und wenn es zwischendurch mal nicht gelingt, sollten wir uns gegenseitig unterstützen, uns Raum geben und zusammen wachsen.
Mittlerweile betrachte ich es mit sanfterem Herzen und Augen, dass es bei uns nicht so geklappt hat. Weniger als „Versagen“ und mehr, dass ich wirklich gekämpft habe und irgendwann einsehen musste, dass es so nicht geht.
Falls Du also grad in der Situation bist oder warst oder eine Freundin in dieser Situation begleitest: Du bist genug und stark und wundervoll und lies Dir dieses Zitat mit ganzem Herzen durch:
„Du hast großen Dank verdient! Danke, dass du all die Strapazen auf dich genommen hast. Danke, dass du gekämpft hast. Du bist eine Löwenmama! Und nun schau nach vorn.“ (Hebamme Zauberschön)
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Danke, liebe Dorothee, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast!