Gleichberechtigung beginnt im Kinderzimmer!

Rosa ist für Mädchen und hellblau ist für Jungs – diese fixe Zuordnung von Farbe und auch von vermeindlich typischen Jungen- und Mädchen-Eigenschaften prägt und beschränkt uns unter Umständen bis in unser Erwachsenen-Alter hinein. „Gleichberechtigung beginnt im Kinderzimmer“, meinen Cori und Patrick von Kindsgut. Neben ihrem Spielwaren-Kerngeschäft haben sie jüngst die Bildungsinitiative „Farben sind für alle da“ ins Leben gerufen. Dort setzen sie sich dafür ein, Stereotypen und Vorurteile zu überwinden, Kinderzimmer wieder bunter, farbenfroher und grenzenloser zu machen für eine wirklich freie Entwicklung unserer Kinder. Hier erfahrt Ihr mehr zu dieser tollen Initiative.

Foto: Kindsgut GmbH

Farben sind für alle da. Klingt eigentlich total logisch und nicht nach etwas, worüber diskutiert werden müsste. Aber weit gefehlt, denn bereits im Baby-Alter wird dem Geschlecht die passende Farbpalette zugeordnet. Schon bei vorgeburtlichen Babyparties wird klischeevoll das Geschlecht des Ungeborenen in Szene gesetzt. Rosa oder hellblaue Ballons steigen in den Himmel, fliegt farbiges Konfetti in die Luft oder erscheint das Innere der angeschnittenen Torte. Plötzlich sind wir wieder eingeschnürt ins Farbkorsett. Dass Jungs Autos lieben und Mädchen Puppen ist eigentlich total gestern, aber immer noch in den Köpfen verankert. Ordentlich gefüttert wird das alles von der Babybranche und Spielwarenindustrie. Diese ist weit davon entfernt, Produkte einfach neutral „für Kinder“ herzustellen. Im Gegenteil befördert ihre Marketingmaschinierie mit genderspezifischer Vermarktung machtvoll Klischees und Stereotypen. Schubladendenken auch in Sachen Bekleidung, wenn die Matschhose für den Sohn unbedingt blau sein muss und nur die Töchter ein „Recht“ auf rosa haben. Oder Jungs, die Blümchen- und Mädchen, die Astronauten-Aufdrucke bevorzugen, schräg angeschaut werden. Manchmal sind wir Eltern es selbst, manchmal das Umfeld oder die Gesellschaft, die diese geschlechtliche Einteilung lebt und damit festigt und befüttert. Das alles hat einen Einfluss auf die emotionale und soziale Wahrnehmung, die wir als Gesellschaft vom jeweiligen Geschlecht haben: Auch 2023 noch werden Mädchen umsorgende, verständnisvolle und ruhige und Jungen wilde, fordernde und laute Charaktereigenschaften zugeschrieben. Und das zieht sich unter Umständen durch bis in unser Erwachsenenalter.

Die Initiative „Farben sind für alle da“ von der Kindsgut Gmbh versucht in Zusammenarbeit mit dem Verein klische*esc Aufklärungsarbeit zu leisten, diese Phänomene und die damit verbundenen Probleme sichtbar zu machen. Ziel ist, für ein Reboot im allgemeinen Farbverständnis zu sorgen und aufzuzeigen, warum die vermeintlichen Vorlieben von Kindern oftmals nicht wirklich auf Unvoreingenommenheit beruhen. Stattdessen wünschen sie sich echte Wahlfreiheit für unsere Kinder. Auf dass sie selbst unvoreingenommen und ungeleitet entdecken können, welche Lieblingsfarbe sie haben, welches Spielzeug sie ganz unabhängig von ihrem Geschlecht bevorzugen und welche Eigenschaften ihre Persönlichkeit ausmachen.

Ein toller Ansatz, über den es sich lohnt nachzudenken. Wer Lust auf mehr Informationen dazu hat und vielleicht auch gern mit seinem Kindergarten oder anderen Erziehenden in den Austausch dazu gehen möchte, der findet Arbeitsmaterial und Inhalte zum Thema auf der Webseite der Initiative unter : www.farbensindfueralleda.de

Außerdem lesenswert das Buch „Die Rosa-Hellblau-Falle – Für eine Kindheit ohne Rollenklischees“ von Almut Schnerring und Sascha Verlan. Beide engagieren sich im Verein klische*esc, der sich für eine gleichberechtigtere Welt einsetzt, die schon im Kinderzimmer beginnt. Hier geht’s zur Kurzfassung des Buches.

Ein Plädoyer für die ganze Farbparlette

Abschließend wollen wir Euch die wunderschöne Ansprache von Dr. Friederike Südmeyer, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin bei Sotheby’s und Kuratorin der Thiemann-Stifung nicht vorenthalten, die sie bei der Vorstellung der Initiative „Farben sind für alle da“ gehalten hat. Eine Hommage an die Farben und ein Plädoyer dafür, aus dem Vollen zu schöpfen und sich bei der Farbwahl nicht einschränken zu lassen. Viel Freude beim Lesen!

„Ich möchte das Rauschende, Volle, Erregende der Farbe geben, das Mächtige.“

Paula Modersohn-Becker

Liebe Gäste,

was für ein großartiges Projekt – Farben sind für alle da!

Farbe berührt und begegnet uns überall, in der Natur, in der Mode, in der Architektur und natürlich in der Kunst. Farbe kann Empfindungen wie Glück und Freude, Einsamkeit und Melancholie auslösen, und in der Kunst lassen sich durch Farben existenzielle und universelle Themen wie Leben, Liebe und Tod darstellen. Wir kommunizieren über die jeweilige Farbwahl nach außen und nach innen, und es spielgelt sich darin unsere individuelle Persönlichkeit. Blau zum Beispiel, ist die einzige Farbe, so Franz Marc, bei der er sich wohl fühlt! Und ein tiefes Schwarz kann, aber muss nicht für Traurigkeit stehen, genauso wie Rot eine leidenschaftliche Sinnlichkeit bedeuten kann, aber nicht muss. Farbe kann beruhigen oder aufrühren, Farbe kann faszinieren und in den Bann ziehen, Farbe kann irritieren und abschrecken, die Palette an individuellen Wirkmechanismen ist breit.

Außer Frage jedoch steht, dass Farbe inspiriert, und unsere Phantasie, unsere Kreativität entfacht! Eigenschaften also, die wir gerade in unseren Kindern von klein auf stärken wollen, dies aber nicht tun, wenn wir sie in ihrer intuitiven Farbwahl beeinflussen oder gar reglementieren.

„Ich liebe das Leben. Ich liebe dies Welt. Ich liebe die Farbe,“ schrieb Paula Modersohn-Becker 1919, und damit erstmals in einer Zeit, in der Frauen in Deutschland überhaupt Kunst studieren durften! Warum sollten wir nun, rund hundert Jahre später, auf all die Möglichkeiten einer kreativen Entfaltung verzichten? Warum sollten wir die Farbwahl unserer Kinder schon von Beginn an auf Rosa und Blau beschränken? Und damit Chiffren stereotyper Rollenbilder im kindlichen Alltag befürworten, die wir eigentlich längst überwunden haben müssten? Umgekehrt dürfen wir Rosa oder Blau nicht tabuisieren, sondern wir sollten unsere Kinder lieber dazu ermutigen, die gesamte Palette, ja das „Rauschende, Volle und Erregende“ in der Farbe zu suchen, um die ganze schöpferische Kraft der Farbwelt individuell zu testen und zu erleben. Denn es ist an der Zeit, dass alle Farben wirklich für alle da sind!!